Edouard Mouton


Der Regen prasselte unermüdlich hernieder, als Eric de Krachtig von der niederländischen Polizei an den Tatort gerufen wurde. Schon von weitem entdeckte er in der nächtlichen Umgebung die durch riesige Scheinwerfer ausgeleuchtete Stelle, an der sich Stunden zuvor ein abscheuliches Verbrechen abgespielt haben musste.

Zur gleichen Zeit zog es mich gedankenversunken durch das dunkle Amsterdam, welches ebenfalls durch denselben Regen ausgiebig benetzt wurde. Ich hatte an diesem Abend keine weiteren Termine und schlenderte ohne Ziel durch die Straßen, blieb dann und wann wenig interessiert an diversen Schaufenstern stehen und fragte mich immer wieder, warum ich nicht einfach in meinem Hotelzimmer geblieben war.

Plötzlich gesellte sich ein Schaf zu mir. Es lief einfach neben mir her, blieb stehen, wenn ich es tat und folgte mir, wenn ich meinen Weg fortsetzte. Das Seltsame war, dass es mich in keiner Weise verwunderte, von einem Schaf durch Amsterdam begleitet zu werden. Ich nahm zwar von den seltsamen Blicken der Leute um mich, bzw. um uns herum Notiz, machte mir allerdings keine Gedanken. Für mich war es selbstverständlich, dass ich abends gegen 22:00 Uhr mit einem Schaf durch Amsterdam zog, während ca. 40 km weiter nördlich Eric de Krachtig einen Mordfall zu klären hatte.

Als ich mich langsam über die Stadhouderskade in Richtung Rijksmuseum bewegte, begann das Schaf sich vorzustellen: Ich heiße übrigens Edouard!

Ah, entgegnete ich, Eduard?!
Nein, nein, Edouard, viel weicher und melodischer!

Ich entdeckte zwar keinen französischen Akzent in der Intonation meines Begleiters, aber die Aussprache der Variante des Namens klang nun wirklich sehr Französisch. Und Edouard hatte recht, es klang weicher und melodischer, als das eingedeutschte Eduard. Edouard Mouton!, setzte Edouard fort, und ich konnte mir gedanklich die Erkenntnis nicht verkneifen, als ich zu ihm herunter sah: Mouton, klar, Mouton ist französisch und bedeutet Schaf.

Ich entstamme der Familie Mouton aus der Auvernge, sprach Edouard weiter, die unterscheiden sich sehr von dem bretonischen Familienzweig. Ich hörte interessiert zu, erfuhr etwas über André Mouton, dem Ur-Urgroßvaters Edouards, der tatsächlich damals die Bretagne verlassen hatte, um in der Auvergne sein Glück zu versuchen. Dort hatte er sich mit Eloïse Gobeur verheiratet, die wahrlich kein Dummerchen gewesen war, und den Familienzweig der Moutons in der Auvergne begründet. Kurioserweise hatte ich überhaupt nicht das Bedürfnis Fragen zu stellen. Edouard lieferte die Antworten auch ungefragt. Und während ich weiter durch den Regen lief, berichtete Edouard über seine Familie und ein wenig auch über sich.

Edouard und ich waren weiter ziellos durch die Amsterdamer Altstadt gezogen, entlang an Grachten und historischen Bauwerken und erreichten gegen Mitternacht das Rho Hotel, in dem ich ein Zimmer hatte. Zur gleichen Zeit saßen Eric de Krachtig und seine Kollegen wieder im Büro und gingen noch einmal die Eindrücke durch, die am Tatort auf sie gewirkt hatten. In Höhe der Eingangstür verabschiedeten wir uns, und Edouard ging seiner Wege. Während ich ihm noch ein wenig hinterher schaute, bemerkte ich einen Mann, der in Höhe Edouards kurz seinen Hut lüftete: Ah, Monsieur Mouton, Sie sind wieder in der Stadt ?! Irritiert nahm ich diese Szene zur Kenntnis und begab mich ins Hotel.

So verlief meine erste Begegnung mit Edouard Mouton.


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