Eine einsame Insel


Wir waren einige Stunden mit dem Fahrrad unterwegs, als wir an einem Kanal beschlossen, eine Pause einzulegen. Eine Zeit lang saßen wir schweigend nebeneinander, bis Edouard plötzlich eine Frage stellte: Was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?

Ich gebe zu, dass ich mir diese Frage schon lange nicht mehr gestellt habe., antwortete ich und setze fort, Wahrscheinlich ist, wie bei vielem, die kindliche Vorstellung etwas verblasst. Die Zeiten der Schatzinsel, von Robinson und Gulliver scheinen vorbei zu sein. Oh, setze Edouard nach, vielleicht müssen wir die einsame Insel erst gestalten.
Einsame Inseln gibt es viele, auch zwischen den Ostfriesischen Inseln. Aber die regen weniger die Fantasie an, als Inseln mit weißen Stränden und Palmen.
Wenn es dir in deiner Vorstellungskraft hilft, dann versetze dich in den Pazifik., schmunzelte Edouard.

Einsame Inseln ..., überlegte ich, ja richtig, ich habe noch ein Buch von Umberto Eco, Die Insel des vorherigen Tages, das ich zwar angefangen habe, aber noch nicht zu Ende gelesen habe. Ich habe es mir immer wieder vorgenommen. Nehmen wir einmal an, beharrte mein Gesprächspartner, du bist mit einem Schiff unterwegs, in diesem Fall ein Segelschiff ...
Ich liebe Segelschiffe, unterbrach ich ihn.
Nun kommt ein Sturm auf, tobt die ganze Nacht. Brecher schlagen über die Bordwand und spülen alles weg, was nicht befestigt ist, bzw. sich nicht rechtzeitig festhalten kann. Das Tosen des Windes, vereint mit dem Rauschen des Meeres, verhindert jegliche Kommunikation. Männer rufen sich ungehört etwas zu, Kommandos kommen nicht mehr an. Und endlich, nach schlaflosen Stunden ...
Wer sollte dabei auch schlafen können, oder überhaupt wollen?
... strandet dieses Schiff auf einer einsamen Insel in der Südsee.
Warum sind eigentlich immer einsame Inseln in der Nähe, wenn ein Sturm aufkommt? Und warum passiert so etwas immer nur in der Nacht?, versuchte ich eine grundsätzliche Überlegung zu manifestieren.

Ohne einen Anschein des Bedauerns und Trauer ließen wir die Mannschaft des Schoners Eloïse, den wir nach Edouards Urahnin getauft hatten, über Bord gehen. Wir kümmerten uns auch nicht mehr um die einzelnen Männer, was zwar ziemlich egoistisch anmutete, uns aber in unserer künstlerischen Freiheit zustand. Sie treiben wahrscheinlich immer noch in der unendlichen See unserer Fantasie.

Jetzt bin ich natürlich in Vorteil, ergänzte ich. Mit mir ist ein ganzes Schiff an Land gegangen. Damit umging ich geschickt die anfangs gestellte Frage, was ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Ich fand die Vorstellung auch zu theoretisch. Man stelle sich vor, man steht vor einem Tribunal, dass einem eröffnet, man würde am nächsten Montag am Strand einer einsamen Insel ausgesetzte werden. Was noch zu tun wäre, ist eine Entscheidung zu treffen, was man auf diese Insel mitnehmen möchte.

Auf diese Weise würden viel zu viele Fragen aufgeworfen: Wo ist die Insel? Wie ist das Wetter dort, die durchschnittliche Temperatur, Niederschläge, Sonnenstunden am Tag? Von welcher Dauer ist der Aufenthalt? Kommen regelmäßig Versorgungsschiffe vorbei? Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung aus? Die Liste der Fragen und Überlegungen könnte bis ins kleinste Detail fortgeführt werden, und die Klärung würde den geplanten Termin am Montag ständig gefährden und schließlich platzen lassen. Insofern waren wir mit unserem erdachten Szenario schon auf einem leichteren Weg. Eventuell benötigte Erklärungen oder Ergänzungen konnten wir jederzeit beliebig einfügen.

Ok, stellte Edouard fest, was würdest du auf einem gestrandeten Schiff suchen, welches dummerweise mit dir dort festsitzt?
Wieso dummerweise? Ich finde das enorm praktisch.
Weil es geschickterweise auch in tieferem Wasser vor der Insel treiben könnte. Du hättest damit vielleicht weitersegeln können...
Ohne Mannschaft? Mit einem vom Sturm beschädigten Schiff? Das mutet ziemlich utopisch an. Und außerdem würde es unsere Überlegungen zunichte machen.
Stimmt, gab Edouard zu, und es nimmt unseren Überlegungen jeglichen Zauber von Abenteuer und Romantik.

Etwas zu essen!, warf ich ein.
Nein, ich möchte jetzt nichts essen!, sagte Monsieur Mouton.
Nein, ich meinte, ich würde nach etwas Essbarem suchen, auf dem Schiff. Ich weiß ja nicht, was sich auf unserem Eiland so alles finden lässt.
Außerdem wirst Du nach der Sturmnacht erschöpft und auch hungrig sein.
Sehr richtig!, stimmte ich zu. Etwas zu trinken?
Das ist wichtig, stellte Mouton fest, du weißt ja noch nicht, ob sich auf der Insel eine Quelle befindet.
Nein, ja, ich meine ... gab ich irritiert von mir, natürlich haben Sie recht, allerdings wollte ich wissen, ob Sie etwas etwas trinken möchten.
Ja, gerne, lachte Edouard.

Es ist schon praktisch, wenn man sich eine Insel auf der man alleine strandet, aussuchen kann., kam ich zurück zu unserem Konstrukt.
Besser, kam mir Edouard entgegen, wir können uns die Insel nicht nur aussuchen, wir können sie planen und gestalten, wie es uns gefällt.
Genau, und unsere Insel hat natürlich eine Quelle aus der frisches Süßwasser sprudelt und einen Wasserfall in dem man duschen kann, und jede Menge Palmen, aus denen sich eine Hütte bauen lässt.
Werkzeug, du solltest auf dem Wrack nach Werkzeug suchen, sonst kannst du keine Hütte bauen.
Und natürlich leben hier auch wilde Ziegen, deren Vorfahren mit einem Viehfrachter, der hier ebenfalls havariert ist, auf dieser Insel gelandet sind.
Wie geschmacklos, mit einem Viehfrachter!, entrüstete sich Monsieur Mouton. Außerdem klingt dass nun doch alles viel zu sehr nach Daniel Dafoes Robinson Crusoe ...

Aber Daniel Dafoe hatte es mit seinem Robinson nicht gut gemeint, er stellte ihm nur Freitag zur Seite. Ich hätte eine Frau bevorzugt.
Und was ist mit mir?, steigerte nun Edouard seine Entrüstung.
Wieso mit Ihnen? Sie haben mich doch auf diese Insel geschickt, alleine! Da müssen wir wohl auf das nächste Segelschiff im nächsten Sturm warten.


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