In der Koketterie


Der Morgen war sonnig, klar und kalt - eiskalt. Obwohl es für die Jahreszeit offensichtlich ist, und auch erwartet wird, so kommt einem der weiße Raureif immer wieder unerwartet vor.

Kaum hatte ich mich an den Anblick gewöhnt, versuchte eine Erinnerung an sommerliche Morgen in Südfrankreich mich zu wärmen. Obwohl jede Tageszeit ihren Reiz hat, so genieße ich die Momente, die es mir erlauben, mich langsam dem Reiz auszusetzen und aus der Situation heraus Pläne zu entwickeln. Dabei spielt ein Anspruch auf Realisation keine wichtige Rolle. In einem Satz zusammengefasst bedeutet das: Ich bin ein Morgenmuffel!

In den Erinnerungen an meinem letzten Urlaub in Ramatuelle, fand ich mich auf den Stufen der Sanitäranlagen des Campingplatzes wieder, von denen ich sitzend über den Platz spähte und zögernd wach wurde. Guten Morgen!, drang es an mein Ohr und ich erkannte nur langsam die Stimme Edouards. Ich war noch nicht wach. Guten Morgen!, antwortete ich, um nicht unhöflich zu erscheinen. Dabei war mein Wunsch durchaus ehrlich gemeint. Nur der morgendliche Mangel an Kommunikationswillen konnte einen gegenteiligen Eindruck erwecken. Edouard allerdings, der sich bestens in mir auskannte, übersah es erhaben und wartete geduldig ab, bis ich nach der Morgentoilette endlich wach und ansprechbar war.

Guten Morgen!, wiederholte er grinsend, und auch ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es war schön, einen so frohen und nicht nachtragend-interpretierenden Freund zu haben. Er begleitete mich zurück zum Cormoran, der ca. 200 Meter weiter auf dem Stellplatz stand. Von hier aus machten wir uns auf dem Weg, um in einem ca. 1 km entfernten Geschäft das Übliche für ein angenehmes Frühstück einzukaufen. Kaufst du heute Schokocroissants?, fragte Monsieur Mouton mich, als wir die Treppe des am Hang unter Pinien liegenden Campingplatzes verlassen hatten und vorbei an Weinreben unseren Weg fortsetzten. Mache ich gerne, antwortete ich, obwohl ich kein Freund von süßen Croissants bin. Ich würde heute gerne, setzte er fort, eine richtig schöne Chocolaterie besuchen! Eine Chocolaterie?, fragte ich ungläubig, weil ich Edouards Vorliebe für allerlei Grünzeug kenne. Dabei war er alles andere als ein Gourmand. Ist das so abwegig?, stellte er die Gegenfrage. Nun ja, antwortete ich, dass Sie dann und wann zum Frühstück ein Schokocroissant zu sich nehmen, ist mir nicht entgangen, aber dass Sie das mit dem Besuch einer Chocolaterie noch steigern möchten, war mir bis jetzt völlig unbekannt. Vielleicht weißt du noch zu wenig über mich. Zumindest lassen Sie mir genügend Spielraum für Überraschungen. Ja, gab er lachend zu, und ich liebe Schokolade!

Ich konnte mich des Eindruck nicht erwehren, dass er mich auf den Arm nahm und stellte mir das Schaf mit einem schokoladen-verschmierten Maul vor. Sicherlich, er trank Milchkaffee und aß Schokocroissants, aber Edouard Mouton als Besucher einer Chocolaterie, war mehr als abwegig. Edouard bemerkte meine Skepsis und startete einen neuen Versuch mich zu überzeugen: Schokolade setzt Serotonin frei!
Aha!
Das macht glücklich und entspannt.
So so!
Forscher glauben, dass die gesättigten Fettsäuren, die in Schokolade vorkommen, einen positiven Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System haben.!
Hm!
Schokolade enthält Kalzium und das ist für das Skelettsystem wichtig.

Mittlerweile waren wir im Schatten einer Pappel stehen geblieben und ich schaute meinen Freund erstaunt an, der mit seiner Mimik und Gestik den Eindruck erwecken wollte, als habe er Ahnung von dem, was er da sagte. Er hielt erst inne und wurde still, als er bemerkte, dass ich ihn ungläubig beobachtete. Während wir ins Meer der Stridulationen eintauchten, kommentierte ich grinsend das Gesagte meines Freundes: Mir scheint, Sie ziehen der Chocolaterie die Koketterie vor. Hm, fragte er abschließend, sind wir dort nicht schon lange drin?


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