Daisy


... und im Anschluss an die Nachrichten hören sie eine Unwetterwarnung des Deutsche Wetterdienstes..., klang es monoton aus dem Lautsprecher des Radios, als ich in der Nacht zusammen mit Edouard Hamburg verließ und wir uns auf der Autobahn Richtung Süden befanden. Schnee wehte, teilweise frisch gefallen, teilweise von seiner Position, die er seit Tagen innehatte, quer über die Fahrbahn und erschwerte die Sicht enorm. Gleichzeitig spürte ich durch das Lenkrad den Drang des Fahrzeugs, nach links auszuscheren, was ich durch konzentriertes Fahren zu verhindern wusste. Es war anstrengend.

Warst du schon mal in der Schweiz?, fragte das Schaf auf dem Beifahrersitz. Wie kommen Sie jetzt auf die Schweiz?, antwortete ich überrascht und setzte fort: Nein, nicht wirklich. Ich bin oft durchgefahren, aber wirklich besucht habe ich die Schweiz nie. Weil ich gerade an Wintersport denken muss, an Skiabfahrten in den Alpen., gab er als Antwort. Ich gebe zu, dass ich mit der Schweiz weniger den Wintersport in Verbindung bringe, als z.B. Südtirol. Das ist allerdings auch eine Art Vorurteil, denn Wintersport kann man sicherlich im ganzen Alpenraum betreiben. Und wenn man sich mit Edouard besonders gut unterhalten will, dann spricht man Vorurteile an.

In der Schweiz spricht man doch sehr langsam..., provozierte ich. Das bezieht sich nur auf das Berner Oberland!, stieg er ein und ergänzte allerdings einschränkend, dass er wie ich bisher die Schweiz nur als Transitland missbraucht hatte. Einen Aufenthalt im Berner Oberland konnte er ebenso wenig aufweisen, wie ich. So fuhren also, was die Schweiz anging, zwei Unwissende durch die Nacht, umhüllt vom Sturmtief Daisy, über dessen mögliche Auswirkungen sich die Zeitungen intensiver ausließen, als es in der Realität spürbar war.

Wir stellten beide fest, das uns ein Aufenthalt in der Abgeschiedenheit des Hochgebirges bisher verwehrt blieb. Nicht dass man es uns nie ermöglicht hätte, wir waren bislang einfach nicht auf die Idee gekommen. Während unseres Gespräches fiel mein Blick auf die Vignette der Nationalstrassenabgabe der Schweiz, die ich mir im Oktober gekauft hatte. Nun galt sie noch bis Ende Januar und ich sah keine Gelegenheit, sie noch einmal zu nutzen. Weder bin ich ein Anhänger von Skilauf, noch konnte ich mir Edouard auf Brettern einen Hang herunter sausend vorstellen. Dennoch hätte ein Sommerurlaub im Gebirge für mich auch seinen Reiz, den ich allerdings bislang hauptsächlich im Pyrenäenvorland oder im Massif des Maures befriedigt hatte. Beide haben den Vorteil, dass das Meer nicht weit weg ist.

Eigentlich kenne ich die Schweiz nur im Dunkeln, setze ich fort, das letzte mal habe ich an einem Sonntag den Bodensee überquert und bin über Konstanz in die Schweiz gefahren. Im weiteren Verlauf der Fahrt wurde es dann Nacht.
Und was wolltest du in der Schweiz?
Na durchfahren, wie immer.
Man könnte meinen, die Schweiz liegt im Weg.
So schlimm will ich es nicht ausdrücken. Aus einer gewissen Richtung führt der Weg in die Provence eben durch die Schweiz.
Aber direkt in der Schweiz ein Ziel angefahren bist du noch nie?
Nein, aber das könnte man ja mal machen.

Wir schwiegen wieder eine Zeitlang. Der Schnee fiel weiterhin unaufhörlich auf die Erde und schraffierte den Blick auf die Fahrbahn von rechts oben nach links unten. Wenn die Fahrt als solches auch anstrengend war, so beruhigend wirkte aber die zwangsläufige Langsamkeit des Fahrens und das monotone Fahrgeräusch, für dessen Ursache sich nun einmal auch der Schnee verantwortlich zeigte. Edouard schien langsam eingeschlafen zu sein, so dachte ich, bis mich seine nächste Frage wieder aus der Monotonie zog.

Hast du den Blick von der Autobahn auf den Genfer See genießen können? Nein, noch nie. Wie gesagt, wenn ich in der Nähe von Lausanne oder Genf war, war es immer dunkel. Der See lag immer dort, wo keine Lampen zu sehen war. Er wirkte wie ein dunkles Loch im Lichtermeer. Den einzigen See, außer dem Bodensee, den ich in der Schweiz bei Tageslicht sehen konnte, war der Vierwaldstätter See. Das lag daran, dass ich an seinem Ufer in Luzern aufgrund des zurückkommenden Winters übernachtet habe.

Ich finde, die französischen Namen der Seen in und um die Schweiz herum viel schöner, bemerkte er plötzlich. Wie sollte es bei einem frankophonen Schaf auch anders sein. Wie kommt man z.B. auf den Namen Vierwaldstätter See? Liegt er an vier Waldstätten? Auf Französisch heißt er Lac des Quatre Cantons, weil an ihm ja vier schweizer Kantone grenzen. Hm, gab ich mich wissend, mit den vier Kantonen sind ja auch die vier Waldstätten gemeint. Ach, dann ist Chur also der Hauptort der Waldstätte Graubünden? Nein, natürlich nicht! Der Begriff Waldstätte ist historisch zu sehen. Er galt zunächst für die drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden. Später kam noch der Kanton Luzern hinzu und somit waren es vier Waldstätten um den See herum. Daher der Name Vierwaldstädter See. Da muss man aber viel Nachdenken, um so einen Namen zu erklären, resümierte Edouard und beharrte auf der Feststellung, das es bei den französischen Seenamen viel einfacher wäre.

Und wie erklären Sie mir die französische Bezeichnung Lac Leman für den einleuchtenden Namen Genfer See?, fragte ich triumphierend. Das ist doch nun wirklich einfach, kam es schulmeisterlich zurück, Lac ist das französische Wort für See und Leman setzt sich aus den zwei keltischen Wörtern lem und an zusammen und bedeutet einfach großes Wasser. Ich musste mich geschlagen geben, Großer Wasser See ist wirklich ein einfacher, verständlicher Name für einen See in der Größe des Genfer Sees. Und ich wagte auch nicht, nach einer italienischen Fassung zu fragen.

Trotzdem konnte ich es mir nicht verkneifen, unser Gespräch auf den Bodensee zu lenken: Lac de Constance! Konstanzer See oder im Deutschen Bodman See, bzw. Bodensee! Ok, gab ich mürrisch zu, vielleicht war Konstanz den Franzosen geläufiger als Bodman Ich denke, dass auch der überwiegende Teil der Deutschen Bodman nicht kennen., beschwichtigte Edouard. Und somit verkniff ich mir, weitere Seen, an denen die Schweiz als Hauptaktionär oder nur anteilsmäßig beteiligt ist, zu nennen.

Wieder verging Zeit, in der wir durch heftigeres Schneetreiben fuhren. Je südlicher wir kamen, desto mehr umhüllte uns Daisy. Wie sprechen eigentlich die Menschen in der französich-sprechenden Schweiz?, fiel es mir ein. Äh, Französisch?!, kam es vom Beifahrersitz zurück. Das ist mir klar, besserte ich meine Frage nach, ich meine, im deutsch-sprachigen Teil der Schweiz wird ja auch Schwiizertüütsch gesprochen und nicht Hochdeutsch. Möglicherweise gibt es entsprechendes in der frankophonen Schweiz. Nein, leider nicht, antwortete mein Auvergne-Schaf, es wird Standardfranzösich gesprochen, die regionalen Dialekte sterben aus, auch wenn es einige Differenzen zum französischen Französisch gibt. Dann setze er fort und mich damit in Erstauen: Das isch übrigens so schaad, will so die kulturelli vielfalt liidet


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